Die Woche in der ich für eine Weltreise kündige.

Montag, 03. August 2015

„Und du kündigst dann jetzt wann…?“, fragte meine Schwester beim Grillen am Sonntag.

„Freitag!“ und ein Grinsen legte sich auf mein Gesicht. Wenn diese Frage kommt, geht alles in mir auf. Ich will es nur noch sagen und aussprechen: „Ich gehe – für eine Weltreise“

Ich mein, kündigen wegen einer Weltreise!
Sorry, aber einen geileren Grund gibt’s ja wohl nicht!

Da hört man sowas immer nur von anderen oder sieht das in den ganzen  Filmen… und jetzt… macht man es wirklich selbst…! Daniel hat seine letzte Klausur im Masterstudium bestanden und wir hatten doppelt Grund zu feiern: Nie wieder eine Klausur und ich habe das Go für die Kündigung! Freitag. Diese Woche.

Montagmorgen, ich ging gerade los zur Arbeit, stand Daniel an der Tür und sagte grinsend: „Noch 5 Tage….!“. Plötzlich schoss ein Kribbeln durch mich durch. Nur noch 5 Tage und der Tag kommt, den du dir schon so lange vorgestellt hast.

Scheiße.

‚Ania, du bist nervös. VERFLUCHT nervös‘. Das hatte ich eigentlich erst Freitag erwartet. Na toll. Wenn ich nervös bin, bekomm ich direkt komischen Magen und kann dann weniger Süßigkeiten essen, weil sonst Bauchweh.

Ich ging durch die Haustür, setzte meine Kopfhörer auf. Die Tüte in der rechten Hand. Da sind immer die Pumps für die Arbeit drin. Wechsle die flachen Schuhe immer schnell im Aufzug, bevor ich ins Büro gehe. Selbst der 15 Minuten Spaziergang zur Arbeit ist mir zu viel mit den Dingern…

Die Aufzugtür ging auf. Und das Kribbeln wurde intensiver. Als würde ich gleich schon die Kündigung auf den Tisch legen. Aber ich wollte es Freitag. Wenn die Kollegen auch alle da sind. Und: ich dann direkt ins Wochenende kann, haha.

Ich stempelte ein. Oh man. Diese Stempeluhr. „PiepPiiiep“. Das Geräuch, das dir sagt: „So, mindestens 8 Stunden gehörst du jetzt nur MIR!“ Die hohen Schuhe klackerten den Flur entlang. Muss ich immer selbst über mich lachen. War vor zwei Wochen direkt nach der Arbeit bei Freunden und einer sagte: „Boah Ania, das letzte Mal als ich dich ohne Chucks und mit solchen Schuhen gesehen habe war auf meiner Hochzeit!“ Wenn meine Kollegen wüssten, haha.

„Guten Morgen!“

Mein kleines Reich: Der Schreibtisch, meine Timing-Pläne, meine Jobmappen, Infomappen… das ganze Bürozeugs, das jahrelang meinen Alltag strukturierte und bestimmte. Und nicht mehr lang und all das ist von einem Tag auf den anderen… weg.

Auch mein grandioser Stiftehalter. Mein Ein und Alles im Büro: Ein geleertes Marmeladenglas, auf dem ich ein Bild von einem Wasserfall aus Costa Rica mit Tesa hingeklebt habe. Die Mini-Quadratzentimeter, die mir und meinem Kopfkino gehören. Gott, ich kann es nicht erwarten…

Bürostuhl durch Moped im nirgendwo tauschen, Monitor durch Sonnenaufgänge, Meetings durch Gespräche mit Einheimischen und strategische Karriere-Jahresgespräche durch neue Lebenspläne.

„Ania, nächste Woche ist eine Schulung – Dienstag. Kannst du wohl dann fahren mit dem Firmenwagen?“ – „Klar.“, sagte ich. „…aber ich kündige Freitag“, rutschte es fast aus mir raus. Und ich wurde noch nervöser.

„Daniel, ich kann mich null konzentrieren. Wie soll ich das bis Freitag aushalten“, schrieb ich ihm direkt über WhatsApp. Sogar meine Finger zitterten, weil ich an rein gar nix anderes mehr denken konnte. Was der Körper mit einem macht, einfach, weil etwas näher kommt, das man sich so lange gewünscht hat! Zwischendurch hatte ich sogar schon feuchte Augen vor Freude und ich weiß jetzt schon: Freitag werde ich einfach nur heulen. Das wird dann mein Kündigungsgespräch, haha.

Dienstag, 04. August 2015

War klar.
Es war so klar.
Dass gerade ein paar Tage vor der Kündigung solche Fragen von einer Kollegin kommen:
„Wohin fliegen Sie denn in den Urlaub? Sie machen doch immer so interessante Fernreisen!“
– „Mmhmh… Ziel steht noch nicht fest.“
„Aber wieder weit weg?“
– „Ja, auf jeden Fall“
„Toll! Dann wie lange?“
-„Mal sehen…“

Gut, man muss sagen: ich habe nicht gelogen! Wenn Sie mich das Montag nochmal fragt, würden die Antworten genauso aussehen.

„Spontan… das ist immer gut, wenn man jung ist!“, sagte sie, als mein Kaffee aus der Maschine in die Tasse lief. „Jop, finde ich auch immer gut!“ Ich nahm die Tasse und dachte nur: ‚weg hier, weg hier, weg hier, bevor noch so eine Frage kommt, du dich umdrehst, die Kaffeetasse vor Freude in die Luft wirfst und schreist: „ICH MACH NE WELTREISE!!!!“ ‚

Ich kam rechtzeitig raus und der Kaffee blieb drin. Mit der Tasse setzte ich mich auf meinen Platz. „Ania, kannst du nochmal rüberkommen? Frage wegen der Website…“. Wir haben gerade ein neues System bekommen. Dass ich mich schnell wegen des Blogs mit solchen Sachen zurechtgefunden habe, weiß auch keiner. „Ich interessier mich halt dafür…“.

Ich ging rüber und erklärte es. „Hm. Hier sind noch so ein paar Baustellen, da glaube ich, das packen wir 2016 erst an.“ Das sind die Momente, wo ich dann immer schlucke. „Jop“. Oh man, man fühlt sich, als würde man ein Mini-Doppelleben führen. Der Job einer Doppel-Agentin wär definitiv nix für mich.

Ob die wohl enttäuscht sein werden, meine Kollegen? Dass ich sie indirekt angelogen habe? Oder werden die sich einfach nur freuen? Poah, keine Ahnung. Aber die Frage beschäftigt mich mehr, als ich gedacht habe. Wohl, weil ich sie einfach mag.

Als ich heim kam, habe ich mit Daniel beim Essen abends überlegt, was ich den Kolleginnen sage. Und wann. Und wie. Und wo ich anfange. An sich glaube ich schon, dass sie sich freuen werden. Aber ein wenig enttäuscht werden sie schon sein. Sie standen immer hinter mir und haben ein gutes Wort eingelegt, als es um meine Vertragsverlängerung ging. Nie Ellenbogen-Mentalität. Nie. Im Gegenteil. Und jetzt erfahren sie, dass ich nicht erst seit gestern weiß, dass ich kündigen werde.

Karriereleiter war noch nie was für mich. Gehaltserhöhung hat mich noch nie locken können, genauso wie Firmenwagen oder Perspektive auf mehr Verantwortung und und und. Auch wenn man es mir angeboten hatte oder in Aussicht gestellt hatte. Es war mir egal.

Aber zu wissen, dass ich mit Daniel und dem Rucksack in einem Nachtzug irgendwo in Vietnam übernachten werde 17 Stunden lang und irgendwo in der Pampa rauskomme, um weitere 3km zu laufen mit dem Gepäck auf dem Rücken und dann erst noch eine Unterkunft suchen muss… da blüht’s in mir auf. Natur sehen, Natur berühren, Naturgewalten aufsaugen, eine Sprache lernen und vor Tieren wegrennen, in Kulturen eintauchen und die Herzlichkeit von Menschen kennenlernen, die dir auf dem Weg helfen, oder einfach ihre Geschichte und Heimat erklären. Das will ich lernen. Das will ich erleben. Und nicht die nächste Schulung, die eigentlich am Dienstag ansteht.

Ich nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse. Die Tasse haben mir meinen Kolleginnen geschenkt. „Päuschen“ steht da groß drauf. Von Büroräumen werde ich bald eine lange Pause haben. Und ich trank aus. Freitag… vielleicht hau ich den Kaffee dann vor Freude in die Luft!

Mittwoch, 05. August 2015

„Bis heut Abend!“, ich gab Daniel einen Kuss, ging wieder aus der Tür. Wie jeden Morgen. Die Tüte mit den Schuhen wieder in der rechten Hand. Kopfhörer wieder aufgesetzt. Alles Routine. Jeden Tag. Nur die Lieder ändern sich. Mein Weg der gleiche. Sogar die Leute, die mir entgegenkommen sind immer die gleichen.

Die eine auf dem Rad mit den kurzen Haaren, die immer am Handy ist.
Und der Mann im Anzug, der mir mit seiner Laptoptasche immer entgegenkommt.
Diese Frau, die meiner Meinung nach immer viel zu viel geschminkt ist.

Ich kenne auch die Ampelschaltungen, weiß, wo ich schneller gehen muss, und wo ich langsamer gehen kann. Manchmal wie Trueman Show.

Wenn ich das Bürokomplex betrete, begrüßen mich am Empfang des Gebäudes die beiden Herren. Die sind sympathisch, klein, rund, immer am lächeln, könnten Brüder sein. Es ist schon ein vertrautes „Guten Morgen!“ geworden. Man kennt sich irgendwie, aber irgendwie auch nicht.

Im Aufzug wechsle ich wieder meine Schuhe, wie jeden Morgen. Wenn keiner außer mir im Aufzug ist. Oder wenn vor mir einer aussteigt. Schuhe aus, Kopfhörer ab, Handy auf leise, der Blick in den Spiegel, ob die Wimperntusche verschmiert ist. Und wenn die Aufzugtür aufgeht, ist es, als würde ich durch die Marijke Amado Kugel gehen und als jemand anders wieder rauskommen.

Am Mittwoch ging die Stempelkarte nicht sofort und ich drückte mehrmals mit dem Gedanken „schnell, bevor die Minute weiterspringt.“ Und musste grinsen. Wie egal mir bald Zeit sein wird. So unfassbar egal. Ich freue mich auf die Momente, wo wir überlegen müssen, welcher Tag gerade ist. Wo wir vergessen auf die Zeit zu schauen. Ok, außer es geht darum einen Flug zu kriegen. Zum Beispiel den ersten zur Weltreise, haha.

Weiter ging es zum Empfang, anmelden, wie jeden Tag. „Guten Morgen!“ – „Guten Morgen! Hälfte der Woche ist rum!“ Ich grinste. „Ja, allerdings…“ und es kribbelte wieder. So dieses ganz plötzliche Kribbeln, das in einem hochkommt, wenn man fast etwas fallen gelassen hat, aber noch auffangen konnte. Diese Art von plözlichem AdrenalinSchub.

Aber: Ich war nicht mehr so nervös wie Montag. Wohl, weil ich geschnallt habe, dass das jetzt echt die Woche ist. DIE Woche. Und ich bin gespannt, wie man mich Montag grüßen wird. „Hallo! SIE HABEN GEKÜNDIGT????“

Man muss dazu sagen, das ist eine Firma, in der ich in meiner Zeit noch nie erlebt habe, wie jemand gekündigt hat. Ah doch, einmal. Die Kollegen feiern dort alle ihr 25-jähriges Jubiläum. Kündigungen sind sie nicht wirklich gewohnt. Und wenn ich so darüber nachdenke, könnte ich mir ein Shirt drucken lassen für Montag.

Vorne: „Ja, ich habe gekündigt und ja, wegen einer Weltreise“ und hinten dann: „Nein, wir wissen nicht wie lange, nein, wir wissen noch nicht wohin zuerst und nein, wir wissen nicht, was wir danach machen werden“.

Das würde mir viel Zeit ersparen, haha! Eine Überlegung wert.

Ich arbeitete meine 8 Stunden. Wie immer. Spazierte zurück heim. Dann schnell umziehen, ins Auto und ab zum Handball Training.

„Du kündigst übermorgen, ne?“
– „Jop!“

Und dachte nur: ‚Oh Gott übermorgen. Einfach übermorgen.‘ Haben wir sonst immer in Monaten gezählt, sind es jetzt Tage. Nur noch zwei Tage. Und dann kommt der Tag, der alles ändern wird!

Ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, dass etwas so richtig sein wird, wie dieser Freitag. So unglaublich richtig!

Donnerstag, 06. August 2015

Die Sonne schien heute Morgen, ich ging dem Rheinturm entgegen, die Tüte wieder in der rechten Hand, mein Schritt war schneller als sonst. Ich war spät dran – weil ich heute Morgen einfach nur verpeilt war. Durch den Wind, die Gedanken nur bei Freitag.

„Ach kacke, fönen!!“… „wo ist denn… ach, in meiner Hand… ok…“ … „Schuhe! Wo sind die Schuhe?!“

Ich habe keine Ahnung, wie das morgen aussehen soll. Solange ich nicht vergesse überhaupt zur Arbeit zur gehen, sollte alles hinhauen. Heute waren nochmal viele Meetings, viele Gespräche, viele Planungsgespräche und wir saßen im Team zusammen. Ich war kurz davor die Situation zu nutzen. Aber nein, ich wollte es Freitag. Hab mich gerade noch so zurückgehalten.

Und zwischendurch wieder diese AdrenalinKick, wenn ich mir vorgestellt habe morgen genau auf diesem Stuhl im Büro meiner Vorgesetzten zu sitzen und die Worte ausspreche, auf die ich schon so lange gewartet hab, dass sie endlich rauskommen!

Daniel und ich waren gerade in der Stadt, ich wollte einen Schlüsselanhänger kaufen, wo eine Weltkugel dran ist. Ich wollte es ihr morgen auf den Tisch legen und gar nicht mehr viel sagen, sie wird wissen, was los ist.

Ja, meinste, man findet bei DEPOT, bei Xenos, bei Karstadt, bei Kodi, im STERN Verlag oder der Mayerschen so einen stinknormalen Anhänger?! Gab’s nicht. Aber dafür hat Daniel einen kleinen Globus entdeckt. Gekauft.

Er fragte mich gerade beim Essen wie’s mir geht. Was mir durch den Kopf geht. Ich konnte es gar nicht mal in Worte fassen. Ich weiß nicht, das ist so… ich habe einfach noch nie so intensiv das Gefühl gehabt, dass etwas passieren wird, das…. einfach passieren muss.

Als müsste es einfach endlich passieren. So ein unfassbarer Drang danach. Als würden mich der Freitag und das Gespräch magnetisch anziehen. Ich kann es nicht beschreiben.

„Zweifelst du?“ fragte Daniel mich vorhin. Die Frage war nicht mal ausgesprochen, da schüttelte ich lachend den Kopf: „OH GOTT NEIN!!!!“. Er grinste. Ich weiß gerade weder, wie das ablaufen wird morgen, wie sie reagieren werden, wie alles nach der Entscheidung sein wird, wie wir uns fühlen werden. Ich weiß es nicht. Und ich genieße es. Tabula Rasa.
Und dann werde ich heim kommen, Daniel in die Arme fallen und bestimmt nur eins denken: Endlich.

HAHA und jetzt gerade läuft bei iTunes:
Mark Forster – Au Revoir.
Morgen.
Endlich.

Freitag, 07. August 2015

9.00 Uhr, ich saß am Bürotisch und mein Handy blinkte auf: „Wann ist es soweit??“

„Um 10 geh ich zu ihr hin!“, schrieb ich schnell zurück. Ich konnte nichts essen, nicht trinken, den Kaffee konnte ich gerade so runterschlucken, ich war noch nie in meinem Leben so nervös vor lauter Freude. Noch nie. Ich wusste gar nicht, dass man sich so fühlen kann. Alles kribbelte, als würde komplett jeder Nanometer in mir springen und mich anfeuern.

Meine Vorgesetzte stand neben meinem Tisch im Büro, sprach mit meiner Kollegin. Auf einmal sagte sie: „Ach Mist, stimmt, um 10 hab ich ja gleich dieses Meeting…“ ich blickte auf: „Was für ein Meeting?“, schoss es aus mir raus. „Ach… für das neue System, das kommt.“

Ich hörte die Info, rief sofort den Gruppenkalender auf und schaute, bis wann der Termin angesetzt ist. Bis 11.00 Uhr. ‚Nee oder. Nee oder. Noch eine weitere Stunde warten…‘. Ich schloss den Kalender und gleichzeitig meine Augen. ‚Ruhig bleiben. Warte einfach.‘

Vor mir hatte ich einen Text, über den ich nochmal lesen sollte. Es waren 10 Zeilen. Ich bin nicht mal zur zweiten gekommen. Mein Kopf sprach mit mir und sagte nur lachend: „Vergiss es. Ich lass dich jetzt an gar nix anderes mehr denken, ist dir klar, oder?“.

Ich starrte auf den Text. Ohne zu lesen.
Ich schaute in meine Tüte, in der sonst immer meine Schuhe drin sind. Heute war ein Globus drin. Die Pumps habe ich zu Hause gelassen. Ich habe Jeans angezogen und meine Chucks. Ich wollte mich wohl fühlen. Die Blicke der Kollegen sind mir nicht entgangen und es war mir so egal. Heute war mein Tag.

Die Zeit verging nicht. Einfach nicht. Um 10.00 schrieb ich Daniel: „Sie hat noch einen Termin. Kommt um 11 raus.“

Daniel: „Oh man, bei jeder Nachricht, die du schreibst, geht Adrenalin durch mich durch!“

Eine Stunde starrte ich auf 10 Zeilen, und wenn ich recht überlege, weiß ich immer noch nicht, worum es überhaupt ging.

Ich war schon in meiner anderen Welt. In meiner neuen Welt. In der Welt, in der ich gekündigt habe, mit Daniel die Welt bereise und ein neues Leben beginne. Und zwar das, was zu uns passt. Das wir uns wünschen. Von tiefstem Herzen.

11.00 Uhr. Ich schaute nochmal, ob der Globus WIKRLICH da ist. Ja, war er. Gut. Alles da. Handyakku wurde leerer. ‚Halt durch, wenn du ausgehst, dreh ich durch! Und vor allem all die, die darauf warteten, bis ich schreibe, wie es gelaufen ist!‘. Meine Vorgesetzte kam nicht aus dem Termin.

11.10 Uhr. Immer noch nicht.

11.20 Uhr. Immer noch nicht.

Mein Handy blinkte immer wieder von den Nachrichten auf. Noch 40% Akku. Bitte nicht. Meine Kollegin, die mir gegenüber sitzt, arbeitete. Ohne zu wissen, dass ein Meter vor ihr sich gerade für jemanden die Welt verändert.

11.30 Uhr, ich hörte ihre Stimme.
Sie war aus dem Termin.

Ich schrieb Daniel und meiner Familie, dass es losgeht. Kurz und knapp. Sofort hingehen, nicht nachdenken, nimm die Tüte, nimm den Globus, geh rein, keine Sekunde weiter warten, geh. Entschlossen stand ich auf, nahm die Tüte und merkte, wie meine Kollegin sich kurz erschrak von dem plötzlichen Tritt. Geh einfach.

„Haben Sie kurz zwei Minuten für mich?“, fragte ich und lehnte an der Tür. Sie schaute auf die Tüte und trank dabei ihren Tee aus. „Klar, kommen Sie rein“.

Ich ging in ihr Büro, schloss die Tür. Mit zitternder Hand, und einem gigantischen Grinsen. Sie stellte ihre Tasse ab, kam langsam in meine Richtung: „Was kommt denn jetzt…?“ Ich schließe nie die Tür, wenn ich mit ihr etwas besprechen will. Nie. Außer heute.

„Ich habe hier etwas für Sie“, sagte ich und setzte mich auf den Stuhl am kleinen Gesprächstisch in ihrem Büro. Der Stuhl, auf dem ich saß, als sie mich am ersten Arbeitstag willkommen hieß. Und dann kam der Moment, den ich mir die ganze Zeit vorgestellt habe.

Ich stellte den Globus auf den Tisch.

„Huch, ein Globus? Sie verreisen? Wohin geht’s denn?“ Sie setzte sich.
Und endlich kamen die Worte über meine Lippen, die viel zu lange warten mussten.

„Ich weiß noch nicht wohin. Aber ich weiß, dass es für eine lange Zeit sein wird…“ und so wie ich es schon vorher wusste: kamen mir die Tränen. „Ich werde die Welt bereisen…. und die Firma verlassen“ und ich lächelte, wie andere es tun, wenn sie befördert werden. Eine Träne lief mir über die Wange, die vom Grinsen fast platzte. Und ich hatte so keine Ahnung, was sie jetzt sagen wird.

„Oh man… okay… ja… puh… das freut mich für Sie… das ist… ich wusste, dass es irgendwann kommt… ich wusste es… “ Ich nickte nur mit dem Kopf und mein Lächeln war wie eingemeißelt, ich konnte nicht anders.

Sie begann nachdenklich zu werden, drehte mit einem Finger langsam den kleinen Globus. „Wenn man so etwas in sich hat, diesen Drang und diese Sehnsucht danach… dann… muss man es einfach tun.“ Es war fast schon eine filmreife Szene, wie sie die Weltkugel langsam drehte und diese Worte so nachdenklich langsam aussprach.

Plötzlich bekam sie feuchte Augen. Und erzählte von ihren Reisen, von ihren Erlebnissen, und es wurde ein zweistündiges Gespräch vollgepackt mit Fernweh, Verständnis und dem besten Austausch, wie man es sich nur in so einem Gespräch wünschen könnte. Anscheinend war noch jemand in diesem Raum mit diesem unglaublichem Fernweh und Drang nach der Welt.

Am Ende nahm sie den Globus fest in die Hand, kniff ein Auge zu und zeigte mit der Weltkugel auf mich, während sie sagte: „Ich will nicht sagen, dass ich Sie durchschaut habe – aber ich habe schon beim ersten Bewerbungsgespräch gewusst, wie Sie ticken. Und dass Sie das brauchen werden. Und dass Sie so etwas irgendwann tun werden.“

Das nennt man wohl Menschenkenntnis. „Es ist ein großer Verlust, aber es ist wichtig, dass Sie das tun. Es ist einfach richtig.“

„Ich weiß…“, konnte ich nur antworten. „Tja, jetzt liegt es an Ihnen, es noch den Kolleginnen zu sagen… Kommen Sie her, lassen Sie sich mal drücken! Ich freu mich so für Sie!“, sie stand auf und nahm mich in den Arm. Ich hab’s getan.

Dann atmete ich aus und ging zurück in mein Büro. Zu den Kolleginnen. Kaum betrat ich den Raum und zog langsam die Tür zu, sagte die eine Kollegin, während sie ihre Mail weitertippte: „Oh man, was ein langes Gespräch war das denn… haben uns schon gefragt, was ihr…“. Und als die Tür mit einem Rums ins Schloss fiel, unterbrach sie sich, blickte vom Monitor weg, sah mich an und wieder lief mir die Träne runter, während ich fast schon flüsterte: „Ich habe gerade gekündigt“.

Die Augen wurden groß und bevor sie fragen konnte, warum und wieso schickte ich den Satz „Ich werde die Welt bereisen…“ noch leiser hinterher. Kurze, leise Worte, die eine Bombe platzen ließen.

Sie explodierte förmlich aus ihrem Stuhl, rannte zu mir, schmiss sich um meinen Hals und schrie nur: „WAAAAS????? NEEEEIN Du Sauuuuuuuuuuuuu!!! Oh Gott wie geeeeeiiiilllll!!! Du blöde Kuh! Das machst du genau richtig!“ und ließ mich nicht los.

In dem Moment öffnete meine andere Kollegin die Tür. Die, die mir gegenüber sitzt. Sie hatte sich etwas zu essen geholt. Schaute mich an, schaute die andere an, bekam große Augen. Und ich wiederholte meine beiden Sätze.

Schock in ihren Augen. „DU MACHST…WAS??“. Verwirrung, Überraschung, Schock, alles stand ihr in den Augen geschrieben. Ich nickte nur. „Ja… ich werde die Firma verlassen… für eine Weltreise“ Ohne etwas zu sagen umarmte auch sie mich und sagte dann nur: „Mein Gott – wie geil…!“

In dem Moment war ich erleichtert. Dieser Zuspruch, dieses Verständnis, diese Freude, die mit einem geteilt wird… hatte ich noch Sorge, dass sie enttäuscht sein werden, standen sie vor mir und hatten zusammen mit mir feuchte Augen, während sie nur sagten, wie sie sich für mich freuen. Sie wollten alles wissen, seit wann, wir es schon wissen, wohin es als erstes gehen soll, wie lang, wie wir es planen, und und und. „Ania, ich hab Gänsehaut, wenn du davon erzählst. Du siehst gerade so glücklich aus…“ Ich grinste nur, nickte heftig und presste meine Lippen aufeinander, um noch mehr Tränen zu unterdrücken.

Endlich ist es ausgesprochen. Und noch ein Stück realer geworden. Endlich habe ich gekündigt. Hatte man vorher immer nur Artikel von anderen gelesen, die ihren Job für’s Reisen aufgaben – zähle ich mich ab heute dazu.
Als ich Feierabend machte und mich bei der Empfangsdame verabschiedete, sagte sie: „Sie haben bestimmt einen Urlaubsantrag genehmigt bekommen! Sie strahlen so!“ Und ich strahlte noch mehr. Meine Antwort: „…fffffast!“, und mit den Worten ging ich zum Aufzug.

„Keine Urlaubsanträge mehr. Kein Hoffen, dass man 3 Wochen am Stück reisen darf. Und auf Genehmigung warten vom Chef, dass ich aus dem Büro darf. Kein Einverständnis, dass ich 3 Wochen lang meinen Traum und meine Leidenschaft leben darf. Niemand muss mehr zustimmen.“ Ich stand im Aufzug und zückte sofort das Handy. Daniel anrufen. Familie anrufen.
15 Minuten später öffnete Daniel die Wohnungstür, er lächelte und zog mich sofort zu sich. Ich schaute ihn an und rief nur: „Ich habe gekündigt!!“, sprang ihm wieder um den Hals und er sagte in mein Ohr: „Endlich können wir loslegen…“ und nickte auf den Boden. Ich folgte seinem Blick und sah, was er vorbereitet hatte:
Gekündigt für eine Weltreise!
Ein neues Leben.
Das Richtige.
Es ist da…!